Während in Deutschland die Diskussion über die angebliche Faulheit der Mütter entfacht ist, sieht man das im Arabischen Golf ganz anders.

In meiner Wahlheimat Bahrain, im Persischen Golf, hat sich viel verändert seit ich vor 16 Jahren hierher zog. Der zu erwartende anfängliche Kulturschock hielt sich auch trotz meiner rheinländischen Herkunft in Grenzen, ist doch Bahrain ein relativ wohlhabendes und entwickeltes Land. Darüber hinaus, seitdem die Formel I nun auch in Bahrain Einzug gehalten hat, ist die Anpassung an den westlichen Standard nicht mehr aufzuhalten.

Der Wohlstand der Mittelklasse ist durchaus beachtlich. Die Anzahl der Familieneigenheime, die hier sehr viel grösser und luxuriöser gebaut werden als in Deutschland, ist dramatisch angestiegen. Selbstverständlich haben beide Eheleute ein Auto. Immer mehr Frauen arbeiten und der Durchschnitt der Kinder pro Familie ist ebenfalls gesunken. War die Anzahl der Kinder pro Ehepaar noch vor ein bis zwei Generationen mindestens sechs bis sieben Kinder und mehr, so wollen mittlerweile die jungen Mütter nur noch drei bis höchstens vier Kinder. Manche geben sich sogar schon mit nur zwei Kindern zufrieden, was allerdings bis heute die Augenbrauen eines manchen hochschnellen lässt. Kinder kosten sicherlich mehr als früher, aber dafür hat frau heutzutage auch weniger Arbeit mit ihnen. Wie kommt das?

Die relativ niedrigen Einwohnerzahlen dieser Region machen es notwenig, Fremdarbeiter anzuheuern. Die meisten Fremdarbeiter kommen aus Ländern der dritten Welt, weil sie billig und problemlos angeworben werden können. Dazu gehört auch Hauspersonal, das für hiesige Verhältnisse ein geringes Gehalt verlangt. Als Konsequenz hat fast jeder Haushalt der Mittelschicht ein Hausmädchen und/oder Kindermädchen, die sich dann ausschliesslich um die Kinder kümmern.

Somit können mehr Frauen, wenn sie es wünschen, beides, einen Beruf ausüben und Kinder haben. Denn Kinder sind auch hier, mehr als im Westen, nahezu ausschließlich Angelegenheit der Frauen. In den Golfstaaten ist der Mutterschaftsurlaub zudem nur 45 Tage kurz! Das heisst nur sechs Wochen nach der Geburt ihres Kindes geht die berufstätige Frau wieder arbeiten und lässt ihr Baby meist bei der „Nanny“. Aber selbst wenn die Frau nicht arbeiten möchte, haben die meisten Familien dennoch ein Hausmädchen, denn die Häuser hier sind sehr groß und nur schwer alleine zu bewältigen. Ausserdem, wofür soll man sich abplagen, wenn man sich doch ein Haus-/Kindermädchen leisten kann. Es muss erwähnt werden, dass diese Frauen, die hier als Kindermädchen arbeiten, fast immer keine ausgebildeten Erzieherinnen sind, sondern ungelernte junge Ausländerinnen mit mangelnden Englisch- oder Arabisch Sprachkenntnissen aus einem armen Land der dritten Welt, deren einzige Qualifikation ‚eigene Kinder‘ sein mögen.

Die hiesigen veralteten Arbeitsbedingungen solcher Hausangestellten gleichen oft denen Leibeigener aus dem westlichen Mittelalter und ermöglichen es den arabischen Frauen, die selber Geld verdienen oder Ehemänner mit angemessenen Einkommen haben, ihre Zeit relativ kinderfrei zu gestalten, wenn sie es wünschen. Eine Mischung aus bestimmten Erwartungen an den gehobenen Lebensstandard der Neuzeit und veränderten Ansichten des mütterlichen Einsatzes in Zeiten des Wohlstands spielen hier eine Rolle, die von der arabischen Gesellschaft als Nebenwirkung akzeptiert werden.

Der Mensch ist bekanntlich ein Gewohnheitstier und somit haben sich die meisten Frauen an die Haushalts- und Kinderhilfen so sehr gewöhnt, dass sie sich ein Leben ohne Hauspersonal nicht mehr vorstellen können. Nur in Ausnahmefällen oder den gefürchteten Zwischenzeiten der Ab- und Anreise eine Hausmädchens sind Golfstaatenfrauen ab dem Mittelstand auf sich alleine gestellt, einschliesslich der Kinder. Denn die sind ebenso an den Luxus des Hauspersonals gewöhnt, wodurch sie nicht selten verzogen werden, weil das Hausmädchen diejenige ist, die alles aufräumt, den Dreck wegmacht und alle möglichen und unmöglichen Wünsche erfüllen muss.

Ob die Mutter nun arbeitet oder nicht, manche Kinder bekommen ihre Mutter nur wenig zu sehen. Als Lehrerin konnte ich die Auswirkungen des Kontaktmangels zwischen Mutter und Kind oft sehr gut beobachten. Ich wollte in meinem Englischunterricht der ersten Klasse das Wort “mother” umschreiben. Auf die gestellten Fragen an einen meiner Schüler, wer sich um ihn zu Hause am meisten kümmern würde, wie z.B. seine Schultasche packen helfen, seine Kleider waschen, ihn für die Schule fertig machen oder sein Essen kochen, bekam ich zur Antwort: „Unser Hausmädchen“. Er informierte mich aber noch, dass seine Mutter (die nicht ausser Haus arbeitete) dies deshalb nicht könne, weil sie bis mittags schlafen müsse und nachmittags einkaufen sei. Nun gut, soweit zu meinem Versuch, mir die, wie ich damals dachte, traditionellen Aufgaben der Mutterrolle in meiner Unterrichtserklärung zu Nutze zu machen.

Aber diese Erfahrung machte mich nachdenklich. Ist es wirklich nur die Mutter, die anscheinend wegen einem wohlstandsbedingten Ersatz ihre Rolle vernachlässigt oder ist es zum Teil nicht auch die mangelnde Bereitschaft des Vaters, sich endlich in das täglich notwendige und energieraubende Sich-um-die-Kinder-Kümmern mit einbeziehen zu lassen. Kinderbetreuung bleibt anscheinend hüben wie drüben immer an den Frauen hängen. Allerdings, traditionelle Erwartungen und Aufgabenverteilung lassen sich nicht immer mit der Weiterentwicklung einer modernen Gesellschaft in Einklang bringen. So auch im modernen Arabien, Tradition hin, Mutterrolle her. Kindermädchen stellt man nicht ein, damit sie den Moviechannel leer gucken. Kindermädchen gehören im Wohlstandsarabien zum Statussymbol. Folglich ist es an der Zeit, die Mutter- sowie Vaterrolle und deren Aufgaben neu zu definieren. Luxus und Wohlstand haben nun mal ihren Preis, leider auch oft auf Kosten der Kinder, die sich glücklich schätzen können, wenn sie ihre Eltern eine Stunde pro Tag zu Gesicht bekommen. Allerdings, solche Schlagzeilen über die angebliche Faulheit der Mütter wegen der oben beschriebenen Tatsachen wären hier unvorstellbar. Und selbst wenn diese Situation zum Wohle der Kinder und letztendlich der Gesellschaft eine öffentliche Diskussion anregen sollte, offene Kritik ist hier unerwünscht, soweit ist die Entwicklung der modernen arabischen Gesellschaft nun auch wieder nicht.