Das Wahlrecht um seine eigene Regierung mitzubestimmen ist in einigen Ländern noch sehr neu und somit eine kostbare Errungenschaft; sollte man meinen.

Das Recht eine Regierung zu wählen ist in demokratischen Ländern so selbstverständlich, daß man manchmal den Kampf unserer Vorfahren vergißt, die dieses Recht mitunter auch mit ihrem Blut bezahlen mußten. In vielen Entwichklungsländern kämpfen die Menschen bis heute noch für dieses Recht. Das kleine Inselkönigreich Bahrain im Persischen Golf ist auch so ein Land, in dem erst vor wenigen Jahren das Wahlrecht eingeführt wurde. 1975 löste der damalige Emir die zwei Jahre junge Nationalversammlung auf und herrschte wie zuvor mit Mitgliedern seiner Familie über das Land. Nach seinem Tod ließ dessen Sohn, der seine Bildung in England genossen hatte, eine Volksabstimmung durchführen, die den Staat Bahrain zur konstitutionellen Monarchie umändern sollte, um dem Land den Weg in die Demokratie zu ebnen. 98,4% der Bürger ab 21 stimmten im Jahre 2001 dafür und es wurde ein großes Volksfest veranstaltet. Alle politischen Gefangenen wurden freigelassen, die zahlreichen Bahrainis im Exil durften wiederkommen, die Zeit der Angst vor Verfolgung, Folter und Unterdrückung hatte endlich ein Ende. Der neue König wurde auch von alten Regierungsgegnern anerkannt und von der Bevölkerung als Volksheld gefeiert.

Alle Bürger ab 21, Männer wie Frauen, bekamen das Wahlrecht für ein Landesparlament und Regionalbeauftragte. Doch noch vor den ersten freien Wahlen verkündete der König die „2002 Konstitution“, wonach entgegen ersten Versprechungen sowohl das vom Volk gewählte Unterhaus als auch das königlich ernannte Oberhaus des Parlaments gleiche Gesetzgebungsbefugniss erhalten sollten. Daraufhin boykottierten die vier größten politischen Parteien die Parlamentswahlen, die zusammen die Mehrheit in der Bevölkerung hatten. Dem ersten Parlament fehlte daher die Unterstützung des Volkes, das dessen Bemühungen nicht ernstnahm. In den folgenden Jahren wurden die Forderungen nach Reformen der Konstitution von der Opposition jedoch weiter eingefordert und mit Hilfe der Pressefreiheit laut gemacht Auch wenn die vier Parteien der Opposition an den nächsten Wahlen am 25. November 2006 teilnehmen werden steht die konstituionelle Reform für sie an erster Stelle.

Veränderungen kommen nicht über Nacht und Demokratie muß erst erlernt werden. Eine Bevölkerung, die nichts anderes kennt als von ihrer Regierung beformundet zu werden, wird nicht in wenigen Monaten zu freidenkenden und verantwortungsbewußten Bürgern. In den bahrainischen Schulen und Universitäten wurden deswegen Schülerkomiteewahlen eingeführt, die mithelfen sollen das Demokratiebewusstsein zu entwickeln und die neuen Generationen an das Konzept demokratischer Wahlen zu gewöhnen. Es wird ein langer Prozess werden, zumal ein Großteil der Bevölkerung noch sehr traditionell auf Familienclans bezogen und religiös orientiert ist.

Die Entscheidung der großen Parteien, die erste Wahl zu boykottieren, woran sich dann auch deren Anhänger in der Bevölkerung hielten, war letztendlich eine Entscheidung gegen den Demokratisierungsprozess. Gesetze wurden verabschiedet und Entscheidungen getroffen, auf die die Mehrheit im Land keinen Einfluss mehr hatte, sich aber auch nicht beschweren konnte, weil sie die Wahl boykottiert hatte. Das soll sich nun ändern, denn die Menschen haben begriffen, daß sich die Regierung nicht zu ihren Gunsten verändern wird, wenn sie darauf nicht selber einwirken und sich dafür engagieren. Einige Stimmen des shiitischen Klerus sind zwar immer noch gegen die Wahlen, befinden sich aber mit ihrer Meinung in der Minderheit. Deren Warnungen sind allerdings nicht ganz unberechtigt, wurde erst vor Kurzem laut Bericht eines ehemaligen Regierungsberaters britischer Nationalität, der entlassen und mittlerweile des Landes verwiesen wurde, Komplotte der sunnitischen Regierung gegen die mehrheitlichen Shiiten aufgedeckt.

Aller Anfang ist schwer und so haben sich die Shiiten zur Flucht nach Vorne entschieden. Sie werden um die Mehrheit kämpfen, die sie von der shiitischen Bevölkerung sicherlich auch erhalten werden. Die Loyalität der Wähler ist noch klar nach Sektenzugehörigkeit aufgeteilt. Doch nicht alle zukünftigen Abgeordneten, worunter auch mit hoher Wahrscheinlichkeit ehemalige Exil-Bahrainis sein werden, werden dem alten Regierungsfamilienclan gefallen. Außerdem wird ein großer Anteil an islamischen Kandidaten den Wahlausgang mitbestimmen, was wiederrum den Islamkritikern und auch dem Königshaus nicht passen mag, weswegen diese möglicherweise versuchen werden, auf das Ergebnis oder die ungewollten Abgeordneten einzuwirken. Spannungen sind deshalb schon vorprogrammiert und der Demokratisierungsprozess wird nicht ohne Hindernisse vonstatten gehen. Doch das Volk wählt nun mal denjenigen, von dem es sich die beste Interessensvertretung erhofft, darunter zählen eben auch traditionelle Religionsvertreter.

Die Themen der Wahl in Bahrain sind nicht viel anders als in einem westlichen Land; es geht um Arbeitslosigkeit, Gleichberechtigung der Frauen, Bildung und Verbesserung des Lebenstandards der sozial Schwächeren sowie Ausländerangelegenheiten. Als Ausländerin kann ich natürlich nicht mitwählen, beobachte aber mit Interesse die ersten Versuche eine Demokratie zu schaffen. Besonders interessant sind die Wahlveranstaltungen der zahlreichen Kandidaten, abgehalten in großen Wüstenzelten mit Lampions und Fernsehgeräten, orientalischem Tee oder Kaffee und angeblich auch vereinzelten Geldgeschenken an die Besucher. Manche Wahlposter sind auch sehr attraktiv gestaltet, wenn auch ein paar Kandidaten darauf Posen einnehmen, die einem schimpfenden Schullehrer mit erhobenen Zeigefinger ähnlicher sehen als einem politisch motivierten Parlamentsabgeordneten. Die nationalen Zeitungen berichten jeden Tag auf vier bis sechs Doppelseiten über die Kandidaten, deren Programme und die neusten Entwicklungen im Wahlrennen. Prognosen gibt es allerdings noch nicht, dafür jede Menge Behauptungen und Gemunkel in einem nicht immer ganz korrekten Wahlkampf.

Die allererste weibliche Abgeordnete für das nächste bahrainische Parlament hat sich im übrigen schon vor der Wahl herausgestellt. Sie war die einzige Kandidaten in ihrem Bezirk und ist somit automatisch gewählt. Anderen weiblichen Kandidatinnen, die männliche Konkurrenten haben, wird nur eine sehr geringe Chance eingeräumt. Dennoch, neben der vom König ernannten Gesundheitsministerin und der Sozialministerin bringt die allererste weibliche Parlamentsabgeordnete in Bahrain die Frauen im Kampf um die Gleichbberechtigung in einem islamischen Land voran. Keine leichte Aufgabe, aber wer kann behaupten, daß der Gleichberechtigungskampf irgendwo auf der Welt leicht gewesen sei. Daß muslimische Frauen prominente Ämter ausführen dürfen, zeigt auch die amtierende UNO Generalversammlungsvorsitzende, H.E. Sheikha Haya Rashed Al Khalifa (selbst ein Mitglied der bahrainischen Königsfamilie), die im Juni 2006 in ihr Amt gewählt wurde und zuvor als Rechtsberaterin am Königshof in Bahrain gearbeitet hatte.

Aber wie schon erwähnt, Demokratie muß erst erlernt werden, mitunter in einem langwierigen und bestimmt auch schwierigem Prozess, besonders für Menschen, deren Leben bis heute vorwiegend von Familienclans und Sektenzugehörigkeit geprägt ist. Auch für das moderne Bahrain gilt, alle eifrigen Entwicklungsbestrebungen für eine moderne Demokratie radieren nicht automatisch alt eingefleischte soziale Traditionen aus, um diese mit dringenden und vorher noch nie dagewesenen politischen Interessen auszutauschen. Der Konflikt zwischen Sekularismus und Religion wird allerdings wohl etwas anders ausgehen als im Westen (das jedoch ist ein anderes Thema). Es wird deshalb seine Zeit dauern, wie sie es auch in Europa und Amerika gedauert hat, bis sich die Demokratie in den arabischen Staaten etablieren kann. Gut Ding will nun mal Weile haben und deshalb sollten wir die Hoffnung nie aufgeben. Auch wenn bestimmt einigen Lesern in diesem Zusammenhang der ansteigende religiöse Extremismus Sorgen machen sollte, mögen sich die Gemüter dennoch gedulden, denn nach islamischer Zeitrechnung schreiben wir erst das Jahr 1427. Und wie es zu dieser Jahreszahl nach christlicher Zeitrechnung um die Demokratie in Europa, ganz zu schweigen von Amerika, stand muß nicht erörtert werden. Zugegeben, vielleicht hinkt dieser Vergleich, aber die Entwicklung in den islamischen Staaten kann nicht die gleiche wie in den reichen westlichen Industriestaaten sein. Kolonialisation, Armut und Unterentwicklung, sowie eine dem Ölboom folgende hastige und ungleiche Entwicklung sind ein nicht sehr fruchtbarer Nährboden für eine gerechte Demokratie. Das Wahlrecht und vielleicht auch die anfängliche Entscheidung zum Boykott ist nur ein erster, kleiner Schritt in die Richtung der Selbstbestimmung eines jeden Bürgers.