Emanzipation und Gleichberechtigung sind für viele Frauen jenseits des Westens bis heute unbekannt oder nur Theorie, ein kurzer Einblick.

Im Alter von 20 Jahren habe ich meine Heimatstadt in der Nähe Düsseldorfs verlassen, um im Ausland zu studieren. Obwohl ich mittlerweile die Hälfte meines Lebens im Ausland wohne, bewegen mich immer noch die Geschichten und Schicksale solcher Frauen und Mütter, die nicht wie ich aus dem wohlhabenden Westen kommen, wo immer ich sie treffe und woher sie auch herkommen mögen. Dies ist eine solcher Frauengeschichten.

Ich war mit meiner Familie auf dem Weg zur „Manpower“ Agentur; für meinen Mann, unsere drei Kinder und mich wiederholt sich diese Prozedur alle zwei Jahre. Ich finde es jedes Mal beklemmend, aus einem Hefter mit vielen Fotos von Bewerberinnen aus den ärmeren asiatischen oder afrikanischen Ländern, ein passendes Hausmädchen für uns auszusuchen. Viele Familien, die wie wir in der arabischen Golfregion wohnen, können sich ein Hausmädchen „leisten“, manche sogar zwei und einen Fahrer und Gärtner dazu. Der Grundgedanke ist der, dass unser Geld viel mehr Wert ist, als das aus anderen asiatischen oder afrikanischen Ländern, so dass die reichen Golfstaaten, die nach Arbeitskraeften suchen, den oft ungelernten und unausgebildeten Arbeitern aus jenen aermeren Regionen eine Chance auf Arbeit geben, die sie in ihrem eigenen Land nicht haetten.

Jedoch auf der Suche nach billigen, wenn auch ungelernten Hilfskräften aus den solchen armen Ländern jenseits des reichen Westens und der ölschweren arabischen Golfstaaten, die darauf hoffen, einen besser bezahlten Job als in ihrem Heimatland zu bekommen, kommt man nicht um eine der vielen Personalagenturen herum. Die Bewerberinnen sind keine Flüchtlinge, die ihrem Land den Rücken kehren, sondern Frauen auf der Suche nach einem besseren Lebensunterhalt und einer besseren Zukunft für sich und vor allem für ihre Familien. Was sie tatsächlich hier erwartet, entspricht häufig ganz und gar nicht ihren Hoffnungen und Träumen.

So stiegen wir also in den schäbigen Lift des verkommenen mehrstöckigen Gebäudes, wo sich die Agenturen des modernen Menschenhandels (wie ich sie nenne) befinden. Als wir um die Ecke bogen, sah ich durch die Fensterscheibe des Agenturbüros eine junge Frau sitzen mit hellblauem Kopftuch, stumm wartend. Die überschwänglich freundliche Begrüßung des Agenturbesitzers gehört zu den üblichen Geschäftsabhandlungen der arabischen Kultur. Vielleicht sollten gleich umgerechnet 700 Euro den Besitzer wechseln, ein lukratives Geschäft.

Da gerade unser vorheriges Hausmädchen ihren Zweijahresvertrag beendet hatte und wieder zurück in ihr Heimatland Indonesien geflogen war, hofften wir auf einen ebenso netten, wie schnellen Ersatz. Und wir hatten „Glück“. Eine andere Familie hatte ihr indonesisches Hausmädchen vor ein paar Tagen zurückgebracht, um sie umzutauschen gegen eine, die mehr Arabisch oder Englisch verstehen konnte. Zu mühevoll war ihnen die Verständigung. Selbst Schläge, mit denen die jungen Frauen oft genug eingeschüchtert werden, damit sie bessere Arbeit leisten, musste sie erdulden, die natürlich nicht viel nutzten.

Wir akzeptierten die Sprachbarriere mit dem Vorteil, dass wir keine Wartezeit für ein neues Hausmädchen hatten, die erst aus Indonesien beantragt werden musste. Und so kam Kesih zu uns, eine 23 jährige junge Indonesierin, die noch nie zuvor ein für sie so großes und luxuriöses Haus betreten hatte. Kesih war nicht sehr gebildet, da sie nur einen Grundschulabschluss hatte. Ihre Wünsche und Talente lagen noch tief im Verborgenen, da bisher, wie dort bei Mädchen üblich, niemand auch nur einen Gedanken daran verschwendete, geschweige denn sie fragte, was ihr liegt und was sie möchte. Sie erzählte uns, dass ihre Mutter schon früh gestorben sei und der Vater wieder geheiratet hätte. Man merkte ihr an, dass sie nicht sehr viel mütterliche Fürsorge erfahren haben durfte. Sie selber hatte ebenso jung geheiratet, mit 18, wie es viele Mädchen in ihrem Land tun, um die Armut und oft genug auch Ausbeutung im Haus des Vaters mit der des Ehemannes auszutauschen.

Kesih hatte noch keine Kinder und entpuppte sich als wahre Arbeitsmaschine. Ihr gefiel es auf Anhieb bei uns und wir waren sehr zufrieden. Der Unterschied zu ihrer vorherigen Arbeitgeberfamilie war sehr deutlich, wir behandelten sie mit Respekt und Verständnis und warteten geduldig, bis sie genug Arabisch gelernt hatte, damit sie uns auch besser verstand. Ich konnte mich einigermaßen gut in ihre Situation hinein versetzen. Ich verließ mit 20 Jahren das wohl behütete Elternhaus und ging als Au-Pair Mädchen nach England, mit unzureichenden Sprachkenntnissen und viel Heimweh im Gepäck. All die fremden Gewohnheiten und ungewohnten Gebräuche waren für mich wie ein Kulturschock, auch wenn England quasi neben Deutschland liegt, und sind mir noch gut in Erinnerung. Zum Glück haben der warme Empfang und das Verständnis meiner Gastfamilie mir sehr geholfen, mich schnell einzuleben. Dennoch, meine Erfahrung damals hat nichts mit dem zu tun, was die jungen Mädchen und Frauen hier erleben. Ich tat es, um selbständig zu werden, eine Sprache zu erlernen und andere junge Menschen aus vielen Nationen zu treffen. Kesih tat es, um ihrer Familie ein einigermaßen menschenwürdiges Überleben zu ermöglichen.

Denn wie bei vielen jungen Frauen, die hier im Golf arbeiten, wartete auch auf sie ein Mann oder eine Familie zu Hause, oder vielmehr, dort wartete man auf ihr Geld. Wenn viele dieser Fremdarbeiterinnen in den Golfstaaten ausgenutzt und nicht immer gut bis hin zu überaus schlecht behandelt werden, dann werden sie oft vollends ausgebeutet von ihren Männern oder Familien zu Hause. In den zwei Jahren, in denen Kesih bei uns arbeitete, erhielt sie insgesamt zwei Briefe von ihrem Mann. Jedes Mal frug er nach Geld und nicht ein einziges Mal erkundigte er sich, wie es ihr geht! Oft genug saß sie weinend bei uns am Tisch und erzählte uns die neusten Lügengeschichten ihres Mannes, die er ihr auftischte während ihrer gelegentlichen Anrufe bei den Nachbarn zu Hause, damit sie ihm noch mehr Geld schickte. Mal war es die böse Stiefschwiegermutter, die ihm angeblich die Zahlungsanweisung gestohlen hatte, die Kesih ihm regelmäßig schickte und die auf seinen Namen ausgestellt war und daher nur er bei der Bank einlösen konnte. Mal war es sein Wunsch, sich selbst ein Moped zu kaufen, nachdem er seinem Bruder von dem letzten Geld eins spendiert hatte.

Und immer wieder gab Kesih nach, schickte ihr ganzes Geld zu ihrer Familie, hoffte, dass es diesmal anders sei, um sich dann ihre Verletztheit von der Seele zu weinen, als wieder ein mal kein Wort des Dankes oder der Wertschätzung ihrer harten Arbeit weit weg von ihrer Heimat kam und das Geld wieder für Dinge ausgegeben wurde, die nur den Bedürfnissen und Wünschen ihres Mannes dienten. Aber damit ist sie leider nicht allein. Das ebenfalls indonesische Hausmädchen unserer Nachbarn, Verna, erfuhr drei Monate vor ihrer Rückkehr in ihre Heimat, dass ihr Mann mit dem Geld, das sie immer folgsam nach Hause schickte, eine Zweitfrau geheiratet hatte. Eine weitere Haushaltshilfe berichtete mir von dem Geld, das ihr Mann vertrank und mit anderen Frauen verprasste, während sie vor Heimweh und Sehnsucht nach ihrem Kind geplagt weiter ihre Arbeit als Aschenputtel des 21. Jahrhunderts verrichtete.

Die vielen Kesihs, Vernas und wie sie alle hießen, kommen und gehen auch heute noch, doch ihre Geschichten gleichen sich alle. Unser neues Hausmädchen heißt Analiza, sie ist Philippinin, 30 Jahre alt und Mutter von drei Kindern. Das erste Gehalt, was sie kurz vor Weihnachten nach Hause schickte, sollte eigentlich die Schulden bei ihrer Mutter tilgen und endlich neue Kleidung für die Kinder zum Weihnachtsfest ermöglichen. Mehr als einmal im Jahr bekommen dort die Kinder keine neue Kleidung. Doch wie so oft ist es ganz anders gekommen. Ihr Mann lieferte nur die Hälfte des Geldes, das für die Mutter vorgesehen war, bei dieser ab und die Kinder bekamen keine neue Kleidung zum Weihnachtsfest. Denn ihr eigener Vater hat das Geld für sich selber eingesteckt, um seine Schulden zu bezahlen und den Rest zu „versaufen“, wie er es immer schon getan hat und wie es auch Analizas Vater tat, als sie 12 Jahre alt war und auch ihre Mutter durch ihre Arbeit im Ausland ein besseres Leben für ihre Familie aufzubauen versuchte.

Aber wie schon zu erwarten sitzt nun wieder ein Hausmädchen weinend an unserem Tisch und erzählt uns ihre traurige Geschichte. Eine neue und doch so alte Geschichte von doppelter Ausbeutung, einem Teufelskreis des Elends mit der zerstörten Hoffnung auf ein besseres Leben, trotz ihres großen Opfers weit weg von ihrer Heimat und der Familie.

Es ist ein Teufelskreis, der sich über zwei Kulturen erstreckt. Im eigenen Land sind sie als Mädchen und Frau nicht geachtet und sind nur so viel wert inwiefern sie ausgebeutet werden können. In der fremden Kultur werden sie leider oft ebenfalls als billiges Hauspersonal ausgebeutet und sind der Willkür ihrer Arbeitgeberfamilie schutzlos ausgeliefert ohne jegliche Arbeitnehmerrechte oder -schutz für Fremdarbeiterinnen. Solange die Frauen keine andere Möglichkeit haben oder sehen, sich der Macht der Familienmänner zu entziehen, wird dieser Teufelskreis nicht zu brechen sein. Hilfe von Seiten der Männer werden sie nicht erwarten dürfen, leben doch gerade diese Männer sehr gut von dem Geld, dass sie von einer Frau geschickt bekommen, die für jegliche Gegenwehr viel zu weit weg ist. Das Bewusstsein der jungen Frauen und oftmals verzweifelten Mütter muss sich erst verändern, damit sie ihre sinnlose Gutmütigkeit aufgeben können zugunsten von Selbstbestimmung und Selbstwert und dadurch die Ohnmacht der Frauen endgültig durchbrechen.

Nach fast 5 Monaten konnte es Analiza nicht mehr aushalten, auch wenn sie sich bei uns sehr wohl gefuehlt hatte und dankbar war für ihren guten Arbeitgeber. Sie wollte und musste wieder zu ihren Kindern, da ihr Mann sie nicht richtig versorgte, wie er eigentlich versprochen hatte. Wir liessen sie natürlich, trotz ihres Zweijahresvertrages, nach Hause fliegen. Was aus den Frauen wird, nachdem sie wieder nach Hause kommen, wissen wir nicht. Oft reichen ihre englischen oder arabischen Schreibkenntnisse nicht aus, um in Kontakt zu bleiben. Uns jedoch steht somit wieder ein Agenturbesuch bevor…. sehr wahrscheinlich ein weiteres Kapitel in einer unendlichen Geschichte über ungleichen Wohlstand und bessere Zukunftshoffnungen, moderner Menschenhandel und geplatzte Träume.