Als deutsche Beobachterin meiner eigenen Heimat aus der Ferne, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, es sieht nicht mehr so gut aus…

… in Deutschland mit der Wirtschaft, die schon lange kein Wunder mehr ist, sondern nur noch verwundert; mit der Bildung, die laut PISA den Ruf des hohen Bildungsstandards der Deutschen widerruft; mit dem sozialen Vorbild, das im Ausland den Eindruck erweckt, dass in unserem Land irgendwo Milch und Honig fliessen müssen, weswegen es ein beliebtes Einwanderungsland wurde; und leider auch mit der deutschen ‚Einigkeit und Recht und Freiheit‘, die sich schon lange nicht mehr auf unserem Arbeitsmarkt, bei der Politik oder der Religionstoleranz wiederspiegelt. Begriffe wie Hartz IV und sozialer Abstieg beschreiben noch nicht mal im Ansatz die Schicksale, die dahinter verborgen bleiben. Aber hin und wieder bekomme ich einen Einblick, was so geschieht in meinem Vaterland, Dank dem Satellitenfernsehen, dem Internet und meinen alljährlichen Familienbesuchen.

Aber auch die deutschen Auswanderer bleiben Deutsche und sollten eigentlich einen Bezug zu und eine gewisse Verantwortung gegenüber ihrem Land haben. Aber wie sieht die aus? Nun als erstes haben wir natürlich noch das Recht, bei den Bundestagswahlen mitzuwählen. Unsere Vorväter haben für dieses Recht gekämpft und als Frau ist es nochmal so wertvoll. Doch so weit weg vom Geschehen ist es schwer, sich eine vernüftige Meinung zu bilden. Die Politiker schwingen gerne imposante Reden (die ich mir auch manchmal im Fernsehen anschaue), an die sie sich später allerdings scheinbar nur ungenau erinnern, wenn überhaupt, und vergessen natürlich nicht, sich ihre Diäten vorsichtshalber zu erhöhen, für schlechtere Zeiten, die die anderen bald haben werden, wie z.B. alleinerziehende Mütter. Daran werden auch diesmal die neuen Reformen nichts ändern, die sachkundige, wahrscheinlich aber nicht alleinerziehende Experten ausgearbeitet haben. Genauso wie der Herr Hartz, der nicht mit ein paar Euro fünfzig im Monat auskommen muss, der den neuen Arbeitslosen- und Sozialgeldreformen seinen Namen gab. Wie passend. Bei all der Wahlpropaganda und den Wahlverspechen, die wir von den Politikern da aufgetischt bekamen, kam es mir allerdings so vor, als hätte ich die Wahl zwischen Räuber Hotzenplotz und dem Kasperle (der Leser möge selbst entscheiden, wer was sein könnte).

Eines ist unbestreitbar, die Reichen werden, wie oft, immer reicher, und die Armen, wie auch so oft, immer ärmer. Jedoch hier im Ausland, weit weg von Deutschland und seinen internen Problemen, profitiere ich immer noch von dessen guten Ruf als starker Wirtschafts-, Rechts- und vorallem Sozialstaat, in dem es Arbeitslosengeld und Sozialhilfe gibt, was in den zwar reichen, aber eben nicht sozialen Ländern Asiens nicht der Fall ist. Dennoch funktioniert hier das Sozialwesen trotzdem. Wer was hat muss dem was geben der nichts hat, das stellt keiner in Frage, ein fünftel seines angesparten Vermögens, die Armensteuer.

Dass es in Deutschland schon lange nicht mehr so rosig aussieht wie vielleicht früher, kann hier keiner so recht glauben. Anfangs fiel es mir auch schwer, aber es ist nicht mehr zu übersehen, in Deutschland geht es leider nicht mehr so sozial zu wie einst, seit die Politik ihre charismatischen Persönlichkeiten verloren hat, und leider immer mehr von Menschen bestimmt wird, denen ihre politschen Werte und Überzeugungen irgendwie nur noch als Marketing zu dienen scheinen, und die der Bevölkerung neue unsozialere Gesetze als Notwendigkeit für eine Verbesserung des Sozialwesens einreden wollen.

Wer ist für diese Situation verantwortlich? Die Politiker? Die Bürger selber? Die Ausländer? Die Wiedervereinigung? Der Kapitalismus? Das Konsumdenken der Menschen, mit dem sie sich selber die Gehirne waschen? Was ist denn noch wichtig und für wen? Vielleicht ist es Zeit aus dem Dornröschenschlaf der fetten Jahre aufzuwachen (wie schon jemand vor mir so treffend schrieb, bloss in welchem Zusammenhang?). Keiner kann das wohl mit Sicherheit sagen. Aber eines ist mir aufgefallen, als Aussenbetrachterin, bei vielen Menschen ist politisches Interesse dem Unterhaltungsprogram des Fernsehens gewichen. Irgendwie bleibt nicht mehr viel Zeit, sich für Politik zu interessieren und sich aktiv zu angagieren neben Beruf, GZSZ, Explosiv und Exklusiv, so wie den ultimativen Supershows und den Realdokus. Ausserdem, in den gelegentlichen „Wissentests“ der Bevölkerung auf der Strasse oder der „Promis“, die manche Fernsehsender schon mal zur Unterhaltung durchführen, scheint die Allgemeinbildung einem Interesse für Sternchen aus der Film- und Popwelt Platz gemacht zu haben. Und die Politik? Mir kommt es manchmal so vor wie ein Spiel, als ob da eine Gruppe aus Leuten mit politischer oder wirtschaftlicher Macht vorgibt, dem Volk zu dienen, wobei aber nicht viel bei rum kommt, weil sie nämlich zu sehr damit beschäftig sind, sich zu streiten, wer die besseren Reformideen hat und die dann durchgesetzt bekommt. Vielleicht hilft es ja was oder auch nicht, aber das ist nachher schon nicht mehr wichtig, weil keiner ist’s gewesen, der den Mist verzapft hat.

Das Volk schaut unterdessen immer frustrierter und ratloser zu und kann selber kaum glauben, dass es einfach nicht besser wird. Ich lebe nicht mehr in Deutschland und möchte meine Eindrücke nicht als Urteil verstanden wissen, aber ich weiss auch, weil ich dort die Hälfte meines Lebens gelebt habe, aufgewachsen und zur Schule gegangen bin, dass das ‚Volk der Dichter und Denker‘ sein Bewusstsein für einen Sozialstaat nicht wegen schlechten Zeiten oder neuen Herausforderungen verliert. Vielleicht könnte ein Zurückbesinnen auf das was uns diese Dichter und Denker sagen wollten die Menschen wieder inspirieren.

Es gibt da ein Gedicht eines deutschen Dichters, das ich in der Sekundarstufe durchgenommen habe, und das mir in diesem Zusammenhang nicht mehr aus dem Kopf geht, weil es mich immer noch bewegt und ich denke, dass es in Zeiten sozialer Verschlechterung wieder sehr aktuell sein könnte:

Günther Eich (1907 – 1972): SEID SAND IM GETRIEBE DER WELT!

„Nein, schlaft nicht,
während die Ordner der Welt geschäftig sind!
Seid mißtrauisch gegen ihre Macht,
die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen!
Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind,
wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird!
Tut das Unnütze, singt die Lieder,
die man aus eurem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!“
(aus: Günther Eich / Träume)

Mit anderen Worten, lasst euch nicht über’s Ohr hauen während ihr auf demselben liegt und andere euer Leben bestimmen. In diesem Sinne, lest und schreibt fleissig weiter! „Alles wird gut“, nicht wahr liebe leute-heute?