In Arabien, da lebe ich, oder genauer gesagt im Persischen Golf, den die Araber aber lieber „Arabischen Golf“ nennen wollen; seit über 16 Jahren. Ausserdem habe ich davor auch fast ein Jahr in Ägypten gewohnt, als Studentin der Alexandria Universität. Eine waschechte Rheinländerin, die das Schicksal, wie es manchmal eben passiert, in die Ferne gezogen hat, in eine andere, fremde Welt hinter die deutschen und europäischen Grenzen.

Da stellte ich fest, dass sich die Traditionen und Sitten auch in Arabien ändern, und so lange ich hier lebe, habe ich von keiner Zwangsheirat gehört, wie sie unsere türkischen Mitmenschen leider heute noch praktizieren. Da die Zwangsehe allerdings nach dem islamischen Gesetzt verboten ist, ja genau v e r b o t e n, kann man die Mädchen nicht an den Haaren vor den Geistlichen ziehen, um sie gegen ihren Willen zu verheiraten. Denn nach islamischen Gesetz muss der Geistliche die Frau fragen, ob sie der Heirat ohne Zwang und aus freiem Willen zustimmt! Ich wurde bei meiner islamischen Trauung so oft gefragt, ob ich freiwillig, ohne Zwang, ohne falschen Vorwand, nicht gegen meinen Willen, ohne Angst vor dem Zorn irgendeiner Person oder Familie, auch wirklich diesen Mann heiraten wolle, dass ich schon ungeduldig wurde; bei uns wird einmal gefragt und das muss reichen. Doch der Geistliche ist verpflichtet, alle Zweifel auszuräumen, d.h. eigentlich. Denn so genau nehmen das manche unserer Glaubensbrüder wohl leider nicht, da ihnen ihre Traditionen und Familieninteressen in solchen Fällen heiliger zu sein scheinen. Deshalb müssen die Mädchen kurzerhand „überzeugt“ werden, dass sie den für ihn ausgesuchten Mann auch heiraten „wollen“.

Nun, zum Glück habe ich das in meiner neuen Heimat ganz anders erlebt. Ob sich die zukünftigen Brautleute selber auf der Uni oder Arbeit kennengelernt haben, oder ob dem Mann auf Brautsuche verschiedene Bilder möglicher Heiratsanwärterinnen vorgelegt wurden, die Absicht zu heiraten beginnt mit einem vorläufigen Antrag. Das sieht so aus, dass ein weibliches Mitglied der Bewerberfamilie bei der Familie der ausgeguckten Frau, oder heutzutage schon bei dieser selber, anfragt, ob sie an einer Heirat mit demjenigen interessiert sei. Die Familien erkundigen sich dann als ersten Schritt über den Bewerber, fragen in dessen Nachbarschaft und Umgebung nach, was die Leute von ihm halten und ob sie irgendetwas Negatives über ihn zu erzählen hätten. Passt das erste Profil, sagt die Angeworbene einem Besuch des Bewerbers samt Familie zu. Die junge Frau und der junge Mann haben dann die Gelegenheit, sich zu unterhalten und etwas mehr kennenzulernen (falls das noch nicht an der Uni oder wo auch immer geschehen ist) und dank der modernen Technik sich weiter am Telefon oder im Internet näherzukommen.

Fühlen sich die beiden Interessenten im Laufe ihres beobachteten Kennenlernens zueinander hingezogen, treffen sich die Familien wieder, um einen Ehevertrag auszuhandeln und die ersten Hochzeitsvorbereitungen zu besprechen. Meist ist der Vater der jungen Frau schon von seiner Tochter geimpft, was genau sie sich wünscht, damit er das für sie einfordert. Ich war einige Male bei solchen Besuchen dabei, wo die Männer getrennt von den Frauen lauthals die Bedingungen ausdiskutierten, denn wir konnten sie bis in den Frauenbereich hin hören, während sich die Frauen gegenseitig auskundschafteten und andere Interessensfragen klärten, wie z.B. ob die Braut nach der Hochzeit arbeiten will.

Sind die Männer zu einer Übereinstimmung gekommen, teilen sie das den Frauen mit, die dann in eine Art „Zungengejodele“ ausbrechen, dass ohrenbetäubend aber fröhlich klingt. Dann gibt es endlich die Köstlichkeiten zu futtern, die bis zu der freudigen Kundgabe des Einverständnisses beider Seiten vor sich hinduften. Natürlich kam es auch schon vor, dass keine Einigung gefunden wurde, und die Bewerber es vorzogen, mit leeren Magen von Dannen zu ziehen, denn die Frage des Brautpreises und der Bedingungen, die die Frau in ihrem Ehevertrag stellen will, scheiden manchmal die Gemüter. Doch meistens haben die zwei mittlerweile frisch Verliebten schon alles vorher mit ihren Familien besprochen und der Termin für den Ehevertrag wird festgelegt, in dem ein Geistlicher die Braut zig Male fragt, ob sie auch sicher diesen Mann heiraten wolle, wieviel Brautgeld sie verlange und welche Bedingungen sie in ihren Ehevertrag eintragen lassen möchte. Zum Beispiel könnte sie verlangen, dass falls der Mann sich von ihr scheiden lassen will, er erst eine grosse Abfindung zahlen muss, oder im Falle einer Heirat mit einer zweiten Frau, er das Familienhaus auf den Namen seiner ersten Frau schreiben muss, damit sie sich absichern kann. Und da Verliebtsein bekanntlich oft blind macht, kümmert sich die Brautfamilie meist um solche Bedingungen. Auch hier werden die Frauen immer einfallsreicher und erkennen die Möglichkeiten, die ihnen solche Rechte bieten, und dass falsche Bescheidenheit nicht von Vorteil für sie ist.

Ist der Ehevertrag in einer relativ einfachen Feier vollzogen, findet erst eine „Verlobungsparty“ statt (warum sie auch immer so heissen möge), in der die Braut ein farbiges Kleid trägt. In der Zeit danach ist es den Brautleuten erlaubt, sich auch körperlich näher zu kommen, ohne Aufpasser, denn nach islamischen Recht sind sie ja schon verheiratet. Die Braut wohnt allerdings weiter bei ihrer Familie, bis sie bereit ist, mit ihrem Mann zusammenzuziehen. Bevor sie zum guten Schluss als endgültig verheiratet gelten, gibt es eine weitere „Hochzeitsparty“ mit weissem Brautkleid, weil das so schön aus den westlichen Filmen abgeguckt ist, und vielen Geschenken, die die vielen Besucher von nun an den Brautleuten in ihr neues Heim bringen oder erst nach einer Weile, wenn sie von der Hochzeitsreise zurück sind.

Es kommt natürlich auch vor, dass sich zwei Verliebte gegen den Willen der Famlie vermählen, die dann zähneknirrschend den ihnen aufgezwungenen Schwiegersohn oder die Schwiegertochter akzeptieren müssen. Längst können die Familien eine solche Heirat nicht mehr verhindern.

Die Mädchen, die allerdings einen Bewerber ablehnen, haben ebenso ein Recht darauf. Fällt es einem Bewerber schwer, eine solche Entscheidung zu akzeptieren, wird er von den männlichen Familienmitgliedern der „Braut“ auch schon mal etwas „deutlicher“ abgewiesen. Meine älteste, aber noch zu junge Tochter, hat ihren ersten Heiratsantragsteller schon heftig abblitzen lassen. Ich als Mutter zweier hübscher (weil hellhäutiger) Töchter, die hierzulande extrem begehrt sind, habe mich schon seelisch vorbereitet auf die Dinge oder vielmehr die Bewerber, die von jetzt an vielleicht häufiger vertrieben werden müssen, da mir glücklicherweise meine Töchter bereits erklärt haben, in den nächsten hundert Jahren nicht heiraten zu wollen. Eine gute Entscheidung, wie ich finde. Hoffentlich bleiben sie nur dabei, wenigstens für zehn davon.